Risiko & Wachstum 2021/2022: Dynamiken im Finanzierungsgeschäft


Während die Weltkonjunktur sich zum Teil nur sehr langsam von den Folgen der Corona-Pandemie erholt, ist die Stimmung in Deutschland größtenteils optimistisch. Einige Branchen wie das verarbeitende Gewerbe oder der Internet- und Versandhandel befanden sich bereits während des langen Winter-Lockdowns im Aufschwung. Andere Branchen werden nun im Zuge der Lockerungsmaßnahmen und der europaweiten Öffnungsstrategie ebenfalls wieder an Fahrt aufnehmen. Doch nach wie vor gibt es Bereiche, die von den Einschränkungen besonders hart getroffen wurden und weiterhin auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Ein Ende dieser Hilfsprogramme ist nun absehbar. Wie wirkt sich dies auf die Bilanzen, Erträge und Risiken der betroffenen Unternehmen aus?
In unserem virtuellen Stammtisch diskutierten Ulf Neumeier, Managing Director bei der ABN AMRO Asset Based Finance Deutschland, Michael Thomas, Head of Risk, ABN AMRO Asset Based Finance Deutschland und Thorsten König, International Manager Working Capital Solutions, GGW Kreditversicherungs-Makler GmbH über die aktuelle Dynamik des Finanzierungsgeschäfts. Sie gingen dabei u. a. der Frage nach, welcher Ansatz sich in Bezug auf Risiko und Finanzierung anbietet, um Unternehmen sicher durch die Zeit nach der Krise zu navigieren.
Wie sieht die aktuelle wirtschaftliche Lage in Deutschland derzeit aus, insbesondere mit Blick auf die Situation der Unternehmen und den damit verbundenen Risiken?
In Deutschland herrscht allgemein Aufbruchstimmung. Auch die Grundstimmung unter den Diskussionsteilnehmern war entsprechend zuversichtlich und optimistisch. Im Vergleich zum letzten Stammtisch im November 2020 haben sich die Risiken insgesamt verringert, „der zu erwartende wirtschaftliche Aufschwung bietet Chancen“, schätzt Michael Thomas die aktuelle Lage ein.
Thorsten König bewertet die Situation ähnlich positiv: „Wir sind noch nicht am Ende der Krise angekommen, doch es gibt Licht am Ende des Tunnels und das wird immer deutlicher und heller.“
Auf Kundenseite ist eindeutig Liquiditätsbedarf vorhanden“, ergänzt Ulf Neumeier. „Der Technologiewandel und Transformationen in bestimmten Bereichen haben an Geschwindigkeit zugenommen. Wir schauen im Neugeschäft immer auf die zukunftsgerichteten Branchen, zum Beispiel Mobilität, Energie und Digitalisierung. Fast alle Unternehmen werden von einem Wandel in diesen Bereichen betroffen sein und wir möchten sie bei diesem Übergang bestmöglich unterstützen. Insgesamt hat die Pandemie vieles beschleunigt. Es ist nun unsere Aufgabe, darauf zu reagieren, unsere Kunden zukunftsgerichtet zu bewerten und mit einer entsprechenden Finanzierung zu begleiten.
Gleichzeitig hat die ABN AMRO Asset Based Finance die Krise genutzt, um das eigene Monitoring zu stärken und die Finanzierungsinstrumente zu verfeinern“, ergänzt Michael Thomas. „Dank unseres gut aufgestellten Risikomanagements sind wir etwas risikobereiter als andere Finanzierer. Es gibt zahlreiche interessante Geschäftsbereiche und Sektoren, an die wir uns nun heranwagen.
Mit gigantischen Hilfsprogrammen hat der Staat die deutsche Wirtschaft in den letzten Monaten gestützt. Was ist zu erwarten, wenn diese Schutzfunktion nun langsam ausläuft?
Um die Wirtschaft in der Corona-Krise zu stabilisieren, hat die Regierung vielfältige Hilfsprogramme im Umfang von 150 Milliarden Euro ins Leben gerufen. Einige dieser befristeten Fördermaßnahmen – Überbrückungshilfen, Kurzarbeit und auch der Schutzschirm für Warenkreditversicherungen – laufen nun schrittweise aus. Doch auch wenn die Konjunktur allmählich wieder Fahrt aufnimmt, gibt es in einigen Wirtschaftsbereichen weiterhin massive Einbußen. Die Panelteilnehmer haben sich in unserer Runde damit beschäftigt, was für den Fortbestand der von der Corona-Pandemie stark betroffenen Unternehmen und im Hinblick auf das Finanzierungsgeschäft zu erwarten ist.
Die besondere Herausforderung ist, dass bei einigen Unternehmen im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs kurzfristig mit steigenden Kosten zu rechnen ist, die Umsätze jedoch zunächst noch ausbleiben“, meint Thorsten König. Er rechnet nicht mit einem Tsunami an Firmenpleiten, jedoch mit punktuell größeren Insolvenzen. Ähnlich sieht es Ulf Neumeier: „Ich gehe davon aus, dass sich die Insolvenzwelle nicht in einem zentralen Ereignis äußern, sondern über mehrere Monate auswachsen wird. So wie es der Einzelhandel in den vergangenen Wochen und Monaten bereits gezeigt hat.
Folglich ist bei vielen Unternehmen eine erhöhte Nachfrage nach Liquidität zu erwarten. „Der Markt für Factoring, Lagerfinanzierung und Leasing wird insgesamt wachsen“, meint Thorsten König. „Dort, wo traditionelle Finanzierungen nicht mehr greifen, kommt es darauf an, kluge Lösungen und krisensichere Konzepte zu entwickeln. Die Unternehmen haben wunderbare Assetklassen, die sie finanzieren können. Das schafft Liquidität, um wieder durchzustarten.“
Michael Thomas hält die staatlichen Eingriffe als kurzfristige Stimulanz für absolut richtig. Wenn der Zeitraum, in dem die Hilfen gewährt werden, jedoch zu lang sei, führe das letztlich zu „toxischen“ Unternehmen. „Es kommt darauf an, die Risiken frühzeitig zu erkennen,“ so Michael Thomas. Hierbei sei es entscheidend, alle Unternehmen, gemessen an den Risiken, richtig zu bewerten.
Auch der derzeit enorme Anstieg der Rohstoffpreise war Thema der Diskussion. Diese Entwicklung führe zu steigenden Kosten und gleichzeitig zu einem erhöhten Finanzierungsbedarf bei den Unternehmen. Ulf Neumeier sieht die Lösung in einer zusätzlichen Diversifizierung der Finanzen. „Asset-basierte Finanzierungen wie Factoring und Lagerfinanzierung sind allgemein eine gute Perspektive, da hierbei die Assets der Unternehmen stärker in den Blick genommen werden als ihre kurzfristige Bonität,“ ergänzt Michael Thomas.
In einem Punkt sind sich alle Diskussionsteilnehmer einig: Staatshilfen sind kein Dauerzustand. Insofern ist es gut, dass in den Unternehmen jetzt auch wieder unternehmerisches Denken gefragt ist. Das Ende der staatlichen Hilfsprogramme ist gleichzeitig auch eine Chance fürs Neugeschäft.
Was ist für die weitere Entwicklung des Finanzierungsgeschäfts bis 2022 zu erwarten? Wie sollten sich die Unternehmen – aber auch die Finanzierer selbst – aufstellen, um weiterhin zukunftsfähig zu bleiben?
Verändert hat sich aus Finanzierungssicht, dass die ABN AMRO Asset Based Finance zwar grundsätzlich risikobereiter als in den ersten Monaten der Pandemie ist, dafür jedoch stärker auf die Verteilung der Risiken auf mehrere Partner achtet“, erklärt Michael Thomas. Die Perspektiven für die zweite Jahreshälfte und das kommende Jahr 2022 seien aber generell gut. Das bestätigt auch Ulf Neumeier: „Im ersten Quartal 2021 konnten wir im Factoring bereits ein Umsatzwachstum von mehr als zehn Prozent verzeichnen. Dieser positive Trend wird sich weiter fortsetzen.
Nichtsdestotrotz hatte die Factoring-Branche - insbesondere bei kleineren Anbietern - in der jüngsten Vergangenheit einige Insolvenzen zu beklagen. Für die aktuell 183 Factoring-Gesellschaften am Markt gilt demnach das gleiche wie für die zu finanzierenden Kunden: Es ist absolut essenziell, sich zukunftsfähig aufzustellen und eine solide Geschäftsstrategie zu verfolgen.
Mit Blick auf das Neukundengeschäft ist eine fundierte Risikobewertung unerlässlich. Dabei punkten insbesondere Unternehmen, die sich „glaubhaft Nachhaltigkeit auf ihre Fahnen schreiben können“, bemerkt Thorsten König. „Diese Kunden werden es bei einer alternativen Finanzierung künftig leichter haben.“ Ulf Neumeier ergänzt: „Nachhaltigkeit wird bei der Bonitätsanalyse in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Unternehmen, die sich mit Nachhaltigkeitsthemen auseinandersetzen, werden einen Bonus erhalten. Wir als ABN AMRO Asset Based Finance sind in der Lage, über Sustainability-linked Programme eine positive Nachhaltigkeitsperformance bei Unternehmen über günstigere Finanzierungen im Bereich Leasing, Mietkauf, Factoring oder Lagerfinanzierung zu incentivieren.“ Er fügt hinzu: „Nachhaltige Finanzierungen sind ein neues Spielfeld mit großer Bedeutung, das regulatorisch getrieben wird. Diesem Thema kann man sich nicht entziehen, dem kann man nur proaktiv entgegentreten und sich vorbereiten.“
Fazit ist, dass die Nachfrage nach alternativen, bankenunabhängigen Finanzierungen zur Schaffung kurzfristiger Liquidität derzeit sehr hoch ist. ‚Cash ist King‘. Grundsätzlich – und da stimmen alle Panelteilnehmer überein – ist Optimismus geboten. Die erwarteten Insolvenzen werden nicht als große Welle kommen, aber es wird vereinzelt Ereignisse geben. Dabei ist ein differenzierter Blick auf die einzelnen Branchen weiterhin unumgänglich. Die Chancen im Neugeschäft steigen, wenn die staatlichen Unterstützungsmaßnahmen auslaufen. Insbesondere für Nachhaltigkeitsthemen besteht ein weites Feld: Wer sich „grüner“ aufstellt, wird es in Zukunft bei alternativen Finanzierungen leichter haben.